Gipfelbuch

Wolfgang Güllich meinte, Kaffee trinken sei integraler Bestandteil des Kletterns, nun ist die Idee gar nicht so neu und war auch unseren Altvorderen schon ganz geläufig, nur beschränkten die sich da nicht so sehr auf Kaffee ;-) wie Otto Jüngling in [11] zu berichten wußte.



ALTE BERGSTEIGEREINKEHRSTÄTTEN

Otto Jüngling

..Sapperlot heute war's heiß!
Kein Wölkchen am Himmel, kein noch so leiser Lufthauch, sengende Sonnenstrahlen erhitzten den Fels, so daß es einem fast die Finger verbrannte, und aus­gerechnet diesen beinahe ungemütlichen Sommertag hatten wir uns für eine Überschreitung der Affensteine ausgesucht! Am Morgen ging es ja noch an, als wir auf dem alten Nordweg den Bloßstock erstiegen, aber schon der Abstieg, der nach damaliger, guter Gewohnheit frei zurückgestiegen wurde, ließ uns reichlich warm werden, lag doch der Wenzelkamin schon längst im Sonnenschein. Der Alte Weg auf den Kreuzturm kostete viele Schweißtropfen und das Abseilen nach Süden ließ in der Hitze fast die Arme erschlaffen. Aber auch die Morsche Zinne mußte noch überschritten werden, und als wir endlich unseren „Plan erfüllt" hatten, war längst kein Tröpfchen Wasser mehr in den Flaschen, und der Hunger konnte bei trockenem Gaumen nicht befriedigt werden. So verzichteten wir auf die wohlverdiente Rast im Schatten der Wände und schlichen beinahe stumpfsinnig hinab zum Dietrichsgrund, um endlich im ,,Kleinen Wasserfall", wie damals der Beuthenfall meist genannt wurde, mit vielen Gläsern kühlen Bieres die Lebensgeister wieder aufzufrischen.

Wenn das zu jener Zeit auch ein verhältnismäßig billiges Vergnügen war - kostete doch das ein halbes Liter fassende Glas Pilsner nur 15 Pfennige - so war es für unsere schmalen Geldbeutel doch zuviel geworden, denn zur Heimfahrt mit der Straßenbahn reichte es nicht mehr, und so blieb uns auch das Letzte nicht erspart - der lange, eintönige Marsch auf staubiger Straße nach Schandau.
Ja, beim alten Richter kehrten wir immer gern ein, wenn wir dahinten umherstreiften. Urgemütlich war's da im Sommer nahe dem rauschenden Fall - gezogen wurde er ja für einen Groschen von den Fremden häufig genug - und winters im warmen, heimeligen Stübchen. Uns lockte der "Große", der Lichtenhainer Wasserfall, nie. Und so war es auch in allen anderen Klettergebieten.

Es lohnt sich, einmal mehr davon zu plaudern.

Beginnen wir in Wehlen. Dort kam man nur morgens durch, an eine Einkehr dachte niemand. Wanderten wir aber ausnahmsweise einmal den Uttewalder Grund
hinauf, so lag da, wie noch heute, die „Waldidylle", und an der gingen wir kaum je vorüber, ohne einzukehren. Freilich war das anno dazumal kein so schmuckes, sauberes Häuschen, vielmehr machte es von außen mehr den Eindruck einer alten verräucherten Dorfschmiede, und drinnen hauste ein oller ehrlicher Seebär mit verflizter grauer Seemannskrause, durch die sich, von den Mundwinkeln herab, zwei gelbliche Streifen zogen. Zu essen gab es bei ihm nichts außer Ölsardinen, Marinaden, Frankfurter Würstchen und dergleichen, was in Dosen auf dem Markte war. Kaffee kochte er nicht gern, und das Bier, jeder Pflege bar, war kaum genießbar. Aber eines kredenzte er mit beifälligem Grunzen: Grog! Und der war ein Genuß! Er hielt es mit dem alten Seemannsrezept: Rum muß sein, Zucker kann sein, Wasser ist nicht unbedingt notwendig. Und je nachdem, wie seine Gäste seinem Geschmack entsprachen, so war auch der Grog stärker oder dünner. Zuweilen haben wir bei ihm eine ganze Nacht hindurch bei dem heißen, duftenden Trank gesessen, so daß am anschließenden Sonntag aus der geplanten Kletterei nichts werden konnte. Der Wirt ruht längst unter dem kühlen Rasen. Von Anbeginn der Kletterei war das Amselgrundschlößchen die erste und eigentlich einzige „zunft­mäßige" Einkehrstätte in Rathen. Seitenlang könnte man schreiben über dieses gastliche Haus, das stets ein offenes Herz für uns junge Bergsteiger hatte. Das war so bei Werners, bei der „Rosel", wie später bei Dittrichs. Was dort ausgeheckt und geleistet wurde, grenzt ans Unglaubliche. So kamen wir einmal mit dem ersten Zuge in Rathen an. Noch war es stockfinster, und im Flur bei der ,,Rosel" brannte kein Licht. Vorsichtig tappten wir zur Gastraumtür. Eigenartig weich traten die schweren Nagelschuhe heute auf, doch achteten wir nicht weiter darauf und saßen bald beim heißen Morgenkaffee. Plötzlich draußen ein entsetzlicher Schrei! Wir sprangen auf, um zu sehen, was es gäbe. Da sahen wir bei Licht die Bescherung: man hatte die frischgebackenen Kuchen auf den großen Brettern zum Auskühlen im Flur auf dem Steinboden dicht an dicht ausgebreitet, und wir waren in der Finsternis mitten hindurchgelaufen! Manchmal war's abends auch nicht ganz ungefährlich, vom Flur ins Gastzimmer zu kommen, wenn Ollie gerade seine Künste im Messerwerfen nach der Eingangstür zeigte. Auch manches Kletterproblem ist dort gelöst worden, und die ..Südwand des Amselgrundschlößchens" oder die ,,Pflaumenkuchentraverse" waren einst bekannte Begriffe. Und als gar noch einer der Unseren eine Tochter des Hauses ehelichte, waren sogar „verwandtschaftliche Verhältnisse" geschaffen, die den Bund zwischen Wirtsleuten und Bergsteigern noch enger gestalteten. Ging es in die Schrammsteine, so war ursprünglich die ,,Ostrauer Scheibe" Treffpunkt der älteren Bergsteiger, und Frau Rämisch sorgte dafür, daß jeder sich bei ihr wohlfühlte. Uns Jüngeren war der Weg über Ostrau meist zu weit und unbequem, dachte doch zu jener Zeit noch niemand an einen Aufzug zur Höhe. Wir saßen morgens wie abends am liebsten beim alten Friebel in Postelwitz, der sich selbst gern den „Klettrervater" nannte.
Erst im ersten Weltkrieg kam der Besuch des Cafe's Häntzschel mehr in Aufnahme - weil man sich dort an markenfreiem Kuchen sattessen konnte, der auch oft zum einzigen Tourenproviant wurde. Als dann die Schrammsteinbaude im Zahnsgrund erstand, zunächst ohne den späteren Saalanbau, verteilte sich der Besuch mehr, denn auch Meister Hering verstand es, müden Bergsteigern ein wohliges Ruheplätzchen bei guten und billigen Spei­sen zu schaffen. Manchmal ist es ihm allerdings auch schlecht gelohnt worden, besonders bei Stiftungsfesten, wenn Kartoffeln oder Klöße kreuz und quer durch den Saal flogen oder gar er selbst Ziel dutzender frischgebackener Pfannkuchen war, die auf ihm und rings an Wand und Spiegel zerplatzten - eine damals beliebte Unsitte. Auch um sein Haus hatte er zuweilen Sorgen, wenn die Burschen in übermütiger Stimmung an den Wänden und auf dem Dach herumkletterten oder gar am Dachreiter hingen. Sorgenlose Jugendzeiten, wohin seid ihr entschwunden!? Auch in Schmilka hat sich manches geändert. Einst war es einzig die „Mühle", wo wir verkehrten. Wiederum waren wir da bei „Herings", und das Lokal hatte seine ganz besondere Eigenart in den vielen Musikinstrumenten, die zur Verfügung standen. Vom Klavier und Harmonium über Violine bis zur Baßgeige und zum Brummbaß war alles vorhanden, was man sich nur wünschen konnte .“Zum Tode geht's, ich hab's gewußt " Wie oft sang Freund K. das Lied vom Heidegrab und begleitete sich selbst auf dem Harmonium, wenn wir zum Teufelsturm oder einer andern schwierigen Besteigung auszogen. Erst viel später kam die „Helvetia" in Aufnahme, als Freund Ehlerding, den wir vom ,,Belvedere" bei Niedergrund her kannten und schätzten, das total heruntergewirtschaftete Lokal übernahm und da echtes Münchner Bier zum Ausschank brachte. Auch seinem Nachfolger Neuhäuser blieben wir treu, und unser guter Arno Hohlfeld, der in jener Zeit die Mühle bewirtschaftete, hat es uns lange nachgetragen, daß wir ihn nie besucht hätten, bis er die Mühle mit der Helvetia vertauschte. Bei ihm waren wir immer bestens aufgehoben, und seine so recht für Bergsteigerhunger berechneten Portionen ließen an Qualität und Quantität nie zu wünschen übrig. Zuweilen lockte es uns abends auch elbaufwärts zum „Fischerhäusl" in Herrnskretschen, wo die reizenden Wirtstöchter köstliches echtes Pilsner, Großpriesener oder Leitmeritzer Bier kredenzten und schmackhafte Fischgerichte den Gaumen kitzelten. Kamen wir aus dem Prebischtorgebiet, so ließen wir uns auch gern mal im „Grünen Baum" zur Rast nieder, denn delikate Forellen waren dort Hauptanziehungspunkt.
Noch ein Stück weiter: Niedergrund. Ich habe das Belvedere schon kurz erwähnt. Zu einer gewissen Zeit hatten wir monatelang alle Kletterausrüstung samt Rucksack da oben liegen, und zum Kopfzer­brechen anderer Bergfreunde zogen wir ohne jedes Gepäck in die Berge. Kamen wir dann oben an, so wartete bereits eine dampfende Hühnerbouillon unser. Waren wir nicht pünktlich zur vereinbarten Zeit zum Mittagessen zurück, so kam Freund Ehlerding an unseren Kletterfelsen und bat händeringend, doch den guten Braten nicht verschmoren zu lassen. Abends wurde mancher Flasche Tokayer oder Ruster Ausbruch der Hals gebrochen, und gar zur Silvesterfeier ging's hoch her. Donnerte es doch zum Jahres­beginn mit zwölf hauenden Kanonenschlägen bis Bodenbach und Tetschen hinauf, und am Neujahrstag sahen die zur Jagd geladenen Waidmänner nicht ein Stück Wild. Für mich schlug es allerdings zweimal 12 Uhr - am Schluß meiner Ansprache brausten von allen Seiten 12 Glas Bier über mein ahnungsloses Haupt!

Nun waren aber in diesen „guten alten Zeiten" unsere Wander- und Kletterziele noch wesentlich weiter gesteckt. Ungezählte Male haben wir das wunderschöne Gebiet zwischen dem oberen Kirnitzschtal und Dittersbach nach allen Richtungen durchstreift, und auch da hatten sich bald feste Einkehrplätze herauskristaillsiert. Wohl das beliebteste war das „Hegerhaus" in Hinterdittersbach. Dort waren wir wie zu Hause, und die Familie Hickisch tat alles Erdenkliche, um es uns wohl sein zu lassen. Das ging so weit, daß ich einmal, als ich gerade aus dem Riesengebirge kam, nachts 10 Uhr in Stockfinsternis auf den verwickelten Pfaden mich durch die Obere Schleuse tastete und dann müde, hungrig und durstig, fast ohne Geld ankam und meine Geldbörse vor Mutter Hickisch auf dem Tisch ausschüttete. Für meine letzte Barschaft von 64 Pfennigen bekam ich nicht nur ein reichliches Abendbrot mit mehreren Glas Bier, ein weiches Nachtlager, Frühstück und dicke Butter- und Wurstschnitten als Wegzehrung, sondern erhielt auch noch 10 Pfennige zurück, weil man mich keinesfalls ohne Geld fortlassen wollte. Auf meine Frage, was ich schuldig sei, schüttelte man den Kopf: ,,Nichts!" Eine große Überraschung war es stets für einkehrende Neulinge, wenn plötzlich liebliche Musik ertönte, ohne daß jemand das Instrument entdecken konnte. Dann hatte Vater Hickisch unbemerkt an die niedrige Balkendecke ge­griffen und an einem fast unsichtbaren Fädchen gezogen, worauf eine da oben versteckt eingebaute Spieldose ihre leise klingenden Weisen herabsandte. Auch an der ,,Balzhütte" gingen wir wohl niemals vorüber, ohne zu kurzer oder längerer Rast einzukehren. Eisigkalt war dort das in Steingutflaschen lagernde Bier, und ein scharfer Slibowitz durfte nie vergessen werden, um Magenverkühlungen zu vermeiden.
In Dittersbach gab es zwei Lokale, von denen die einen die ,,Böhmisch-Sächsische Schweiz", die anderen den "Kronprinz Rudolph" bevorzugten. Auch dort haben wir unvergeßliche Stunden verlebt. Ich denke da vor allem an eine Weihnachtsfeier. Es war wohl anno 1908, als wir in den Nachmittagsstunden, etwa 15 Mann stark, dort ankamen und nach einer kurzen Kaffeepause wieder aufgewärmt durch tiefen Schnee zum Falkenstein hinaufstapften, beladen mit drei wohlverpackten Christstollen, drei Pferdeeimern voll Wasser und einigen Flaschen Jamaikarum nebst den nötigen Zutaten. Wir hatten uns eine Woche vorher vom böhmischen Förster die Erlaubnis erbeten, unter­wegs Holz zu einem Feuer zu sammeln, was er aber ablehnte, zu unserer größten Uberraschung mit dem Bemerken: ,,Das ist doch naß! Ich lasse Ihnen Holz hinaufschaffen!" Oben angekommen, fanden wir in einer Ecke des aus dem Fels gehauenen Zimmers der alten Raubritterburg, das natürlich keine Decke besaß, einen großen Haufen grob- und klargehackten Holzes vor, so daß innerhalb weniger Minuten ein kräftiges Feuer flammte und die dringend nötige Wärme ver­breitete. Eine kleine, im Zimmer wachsende Fichte war schnell geschmückt. Bald brannten die Lichter, und im Kessel dampfte der heiße Grog. Weihnachtslieder und Bergsteigergesänge erklangen, kurz, es war wohl die stimmungsvollste Christnacht, die wir alle je erlebt haben. Auch der Förster war unbemerkt herzugekommen und schaute von oben schweigend unserem Treiben zu. Er ließ sich nicht erbitten, teil­zunehmen, sondern meinte nur: ,,Macht nur so weiter, und löscht das Feuer, wenn ihr geht!" Unseren Dank für das Holz lehnte er ab, und von einer Bezahlung wollte er nichts wissen. ,,Wenn Sie dem Holzarbeiter, der es heraufgetragen hat, eine Krone geben, dann wird er sich freuen, aber nötig ist es nicht!" Als dann Grog und Stollen vertilgt und das Feuer niedergebrannt war, zogen wir hochbefriedigt wieder im ,,Kronprinz Rudolph" ein. Daß die Stimmung höchste Wellen schlug, ist nicht verwundeilich. Tabakpfei­fen und Virginias machten die Luft fast undurchsich­tig. Aber einer vertrug den „starken Tobak" doch nicht; bleich versuchte er den Ausgang zu gewinnen, kam aber nur bis zu einer Ecke, wo in großem Haufen unsere Rucksäcke lagen - und ausgerechnet darauf ergoß sich der Inhalt seines Magens! Das war der Anlaß zur Aufhebung der Tafel und zum Schlafen­gehen.

Suchten wir die Gegend um Sebnitz auf, so war der erste Weg entweder zum Tanzplan - dann ging's meist weiter nach dem Rauchberg' dem Wolfsberg, nach Rumburg - oder nach dem Wachberg - dann war wohl das Gebiet um Hinterhermsdorf oder das Pohlshorn unser Ziel. In meiner Neukircher Zeit bin ich auch häufig teils allein, teils mit meinen dortigen und Bautzner Bergfreunden durch den Hohwald - oft barfuß - nach Neustadt und weiter nach Sebnitz gewandert, oder wir gingen direkt durch den ,,böhmischen Zipfel" über Lobendau und Einsiedel nach Sebnitz, um dann über Ottendorf bei der Felsenmühle das Kirnitzschtal zu gewinnen und in den Zschand einzudringen. Die Buschmühle war oft unser erster Rastpunkt, noch häufiger besuchten wir das Zeughaus, bot es doch nach luftiger und lustiger Kletterei den ersten ersehnten Labetrunk.
Selten nur waren noch andere Gäste da, und beim alten Vater Kaube konnten wir bekom­men, was wir nur wünschten. Später kam allerdings einmal ein böser Bruch in das früher so ausgezeichnete Verhältnis zwischen Wirt und Bergsteiger - der Sohn hatte die Wirtschaft inzwischen übernommen - der so weit ging, daß das Zeughaus von uns ge­mieden wurde. Man brauchte uns nicht mehr - nun, auch dies unerquickliche Verhältnis ist längst ver­geben und vergessen.

Wenden wir uns dem linken Elbufer zu. Manch schöne Stunde haben wir bei Finke im Gasthof Naundorf verlebt, wenn wir aus dem Bärensteingebiet heimwanderten. Aber das Schönste war die Ottomühle im Bielatal! Wie oft sind wir Sonnabend abends von Königstein hinausgepilgert. Waren wir dann in der gemütlichen Stube - damals stand nur die alte Mühle - versammelt, so stärkten uns einige Gläser „Kraftbier" oder ,,Doppelkraftbier" zum üblichen Nachtaufstieg auf die Mühlenwächter, Daxen-, Zarathustra- und Ottostein, ehe wir über dem Kuhstall in die Betten gingen. Diese Bleibe nannten die Berg­steiger das „Hotel zu den drei Quasten". Dort wurde mit den buntbezogenen Kissen manche Schlacht geschlagen, und am Morgen ging es wieder an die „Hafenrunde", ehe wir uns im Bach wuschen und dann zum Kaffee antraten. 25 Pfennige zahlten wir für das Nachtlager - klingt es nicht wie ein Märchen? Was „Kraftbier" ist? Ein Glas dunkles Einfachbier mit Zucker und einem verquirlten Ei, Preis 20 Pfen­nige, mit einem Aufschlag von 5 Pfennigen gab es „Doppelkraftbier" mit zwei Eiern, beides ein Göttertrank. Allerdings war das zu Zeiten der alten Familie Otto, die längst im Grabe ruht, wohin ihr auch Sohn und Enkel bereits nachgefolgt sind. Aber wir freuen uns heute noch, wenn wir gelegentlich einmal eine der drei netten Töchter begrüßen dürfen, deren eine ja auch Gattin eines der Daxensteiner wurde. Wanderten wir weiter den Glasergrund hinauf, so zog es uns junge Burschen meist erst in die "Waldesruh" hinein, ehe wir die Tyssaar Wände zu zünftiger Kletterei aufsuchten. In Eiland waren wieder zwei Gaststätten beliebt: Die einen schworen auf Hieke, die anderen auf Güttler. Gern gesehen waren wir in beiden Stätten, und wenn ich heute an Mutter Hiekes Pflaumenknödel zurückdenke, läuft mir noch immer das Wasser im Munde zusammen. Fünfundzwanzig Stück habe ich einmal auf einen Sitz vertilgt!
Im Krippengrund war die "Rölligmühle" bevorzugtes Frühstückslokal, aber auch die "Königsmühle" dicht hinter der Grenze war sehr beliebt. Die "Liethenmühle" kam erst auf dem Heimweg in Betracht, wenn wir nicht unsere Schritte nach Bodenbach lenkten, wo stets bei Kny - wir nannten den Wirt "Knypsilon" - letzte Einkehr gehalten wurde.

Verwunderte Fragen stürmten auf mich ein: und die Berggasthäuser?" Nun, diese nahmen einen ganz besonderen Rang ein, sie sollen daher auch besonders behandelt sein. Zuerst das Dreigestirn Bärenstein, Lilienstein, Pfaffenstein. An anderer Stelle habe ich d)rüber schon eingehend geplaudert. (Vgl. "Wie es einst war...") Nicht immer ging es da so gesittet-harmonisch zu. Besonders bei Stiftungsfesten schlug man in Bierlaune oft über die Stränge - doch da oben störte das kaum je einen Unbeteiligten. Höchstens der Wirt bangte zuweilen um Gebäude und Inventar, wenn es gar zu toll herging. Auch an Buß- ­und ähnlichen ernsten Feiertagen störte uns dort kein Musikverbot und keine Polizeistunde. Gerade dann herrschte meist die übermütigste Stimmung.

Die alten, längst verstorbenen Bergwirte aber leben noch immer in der Erinnerung der Alten vom Berge. Rauenstein und Pabststein wurden seltener aufgesucht, obwohl wir auch da gut aufgehoben waren, doch lagen sie nicht so am Wege und wurden deshalb unverdient etwas vernachlässigt. Die Bastei hingegen war uns zu vornehm und zu überlaufen - trotzdem haben wir dort im Dianasaal eines unserer schönsten Stiftungsfeste gefeiert, und die restlichen Nachtstunden bis zum Sonnenaufgang zu zweit mit „Petrus" auf der Terrasse zu verplaudern, war mir ein Erlebnis.

Das Brandgebiet war damals noch kaum erschlossen, und so kamen wir auch nur vereinzelt einmal zum Gasthaus auf dem Brand. Nicht viel anders lag es mit dem Gasthof Waitzdorf, so wohl wir uns bei der Familie Blumtritt fühlten, aber Tiefer Grund und Ochelwände boten nur wenige Ziele. Hier sei auch der Frinztalmühle gedacht, deren Chronik von manchem zünftigen Bergabend zu erzählen weiß. Auch das Prebischtor kam nur dann als Kaffeestation in Betracht, wenn wir da in den Flügelwänden und am Kreuzstein kletterten.
Bleibt noch der Große Winterberg übrig. In der ersten Zeit haben wir ihn gemieden. Uns schreckten die verschiedenen aufgehängten Tafeln mit dem kategorischen Hinweis: ..Das Verzehren mitgebrachter Speisen an gedeckten Tischen ist nicht gestattet!" Bis wir eines Tages den Bann brachen und kurz entschlossen die Tischtücher abnahmen und dem Kellner in den Arm warfen. Bald verstanden wir uns auch mit Familie Prätorius ausgezeichnet, zumal wir ja im Winter oder bei schlechtem Wetter meist die einzigen Gäste waren. Und noch heute verbringen verschiedene Freunde alljährlich einige Tage ihres Urlaubs in den schönen Räumen dieses, unseres höchsten heimatlichen Hauses. Noch vieles ließe sich erzählen von den Gaststätten der entfernteren Kletter- und Wandergebiete, doch liegen sie außerhalb des Rahmens dieses Aufsatzes. Dennoch wünschte ich, sie stünden uns bald wieder offen, ebenso die Klettergebiete dicht hinter der jetzt leider verschlossenen Grenze. Bei unserer engen Freundschaft mit der Tschechoslowakischen Volksrepublik sollte das kein unerfüllbarer Wunsch sein. Einstweilen müssen wir uns begnügen mit dem, was uns von all den Stätten verblieben ist: unser Sachsenland und die uns früher nur wenig bekannten, weil nur auf längerem Urlaub erwanderbaren Gebirge in den übrigen Teilen der DDR und - hoffentlich -bald ganz Deutschlands.
Seitenanfang


letzte Bearbeitung dieser Seite am 17.01.2006 © Eissner